Darmstädter Rettungsdienst am Limit?
Über 200 Einsätze leisten ehrenamtliche Rettungsdienstler im ersten Halbjahr 2022.
Deutschlandweit kommt der Rettungsdienst immer öfter an seine Grenzen. Wieder und wieder wird in den Medien über Personalmangel, nicht besetzte Rettungswagen und überdurchschnittliche Belastungen im Rettungsdienst berichtet. Auch in Darmstadt werden durch steigende Einsatzzahlen, fehlendes Personal und geschlossen gemeldete Notaufnahmen immer häufiger ehrenamtliche Kräfte zur Unterstützung gerufen. Seit Anfang des Jahres wurde unsere ehrenamtlich besetzte Rettungsdienstverstärkung bereits mehr als 50 Mal alarmiert. Tendenz weiter steigend.
Rettungsdienstverstärkung – Was ist das und wann kommt sie zum Einsatz?
Die ehrenamtliche Rettungsdienstverstärkung (RDV) wird von der Leitstelle Darmstadt alarmiert, wenn der hauptamtliche Regelrettungsdienst überlastet ist. Dies kann zum Beispiel bei einem hohen Einsatzaufkommen, einem Großeinsatz mit Massenanfall an Verletzen (MANV), einem Großbrand oder einer Großschadenslage vorkommen. Dabei werden in kürzester Zeit die Rettungswagen mit ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern besetzt, die gleichwertig dem hauptberuflichen Rettungsdienst zu den Einsätzen im Darmstädter Stadtgebiet geschickt werden. Die Rettungswagen sind dabei nach HRDG (Hessisches Rettungsdienstgesetz) ausgestattet und werden für alle Einsätze qualifiziert (Rettungssanitäter als Fahrer und Notfallsanitäter als Beifahrer) besetzt. Dadurch wird von den ehrenamtlichen Kräften der gleiche hohe Qualitätsstandard gewährleistet, den auch der hauptberufliche Rettungsdienst der Stadt Darmstadt bietet.
Die Rettungsdienstverstärkung wird in Darmstadt von den ehrenamtlichen Kräften der Ortsvereine Darmstadt-Mitte und Arheilgen-Wixhausen gestellt, die hauptberuflich entweder ebenfalls im Rettungsdienst tätig sind oder in einen völlig anderen Job ausüben.
Solche RDV-Alarmierungen erreichen unsere ehrenamtliche Rettungsdienstler - je nach Tag und Uhrzeit - auf ihrem Arbeitsplatz, im Nachtschlaf, beim Sport oder in der Freizeit mit Freunden und Familie. Egal welche Tätigkeit - sie muss direkt unterbrochen werden, um auf die Wache zu eilen und bei jeder Uhrzeit und jedem Wetter den Rettungswagen (RTW) oder Krankentransportwagen (KTW) zu besetzen.
Bilanz des ersten Halbjahres 2022
Vom 1. Januar bis zum 31. Juni dieses Jahres wurde die ehrenamtliche Rettungsdienstverstärkung etwa 40 Mal alarmiert. Zudem wurde im Januar und Februar durch die beiden Ortsvereine ein Zusatz-KTW gestellt, der täglich von Montag bis Freitag Krankentransporte und Covid-Entlassungen durchgeführt hat. Darüber hinaus unterstützten unsere Rettungsdienstler bei großen Stadtfesten, wie dem Schloßgrabenfest im Juni und dem Heinerfest im Juli den Regelrettungsdienst mit mehreren RTWs und wurden nicht nur auf dem Festgelände, sondern im ganzen Stadtgebiet eingesetzt. Auch bei Großsanitätsdiensten, wie den Spielen der SV98 oder Special Olympics waren unsere Rettungs- und Notarztwagen zusätzlich im Einsatz. Zusammengerechnet wurden in der ersten Jahreshälfte 2022 vom Ortsverein Darmstadt-Mitte und Arheilgen-Wixhausen insgesamt etwa 200 Einsätze abgearbeitet. Dies ist weitaus mehr, als in den vergangenen Jahren.
1 Monat – 15 Alarmierungen
Den absoluten Leistungsrekord zeigten unsere ehrenamtlichen Kräfte im Monat Juli. Hier gab es, neben den an fünf Heinerfest-Tagen besetzten RTWs, 15 weitere Alarmierungen der Rettungsdienstverstärkung, die teilweise mehrmals am Tag ausgelöst wurde. In diesem Monat leisteten unsere Notfall- und Rettungssanitäter Hilfe in mehr als 100 Einsätzen.
Ein Überblick der RDV-Alarmierungen und die damit verbundene überragende Leistung unserer Helferinnen und Helfer im Juli 2022 kann der nachfolgenden Liste entnommen werden:
Di. 05.07: 21:13 Uhr
Mi. 06.07: 18:16 Uhr
Do. 07.07: 13:53 Uhr
Mo. 11.07: 11:59 Uhr
Mo. 11.07: 17:57 Uhr
Di. 12.07: 20:40 Uhr
Mi. 13:07: 14:49 Uhr
Do. 14.07: 20:36 Uhr
So. 17.07: 08:21 Uhr
Di. 19.07: 11:22 Uhr
Mi. 20.07: 13:43 Uhr
Do. 21.07: 19:39 Uhr
Mo. 25.07: 11:46 Uhr
Do. 26.07: 10:54 Uhr
Mi. 27.07: 13:49 Uhr
Darüber hinaus bleibt zu erwähnen, dass im gleichen Monat ein Großeinsatz im Rahmen der Bombenevakuierung in Darmstadt-Kranichstein stattfand, in dem unsere Rettungsdienstler ebenfalls gebunden waren. Eine überdurchschnittlich hohe Leistung, auf die man stolz sein kann! Doch wie lange kann solche Belastung im Ehrenamt ausgehalten werden?
Überfüllte Kliniken und längere Transportzeiten sind nur ein Teil des Problems
Die personelle Lage im Rettungsdienst und in den Kliniken war in den Monaten Juni und Juli besonders schwierig und bleibt auch weiterhin angespannt. Viele Krankheitsausfälle, unter anderem aufgrund der Corona-Pandemie, damit verbundener Personalmangel und somit Aufnahmestopps in den Notaufnahmen verstärken das Problem. Wenn das eigentlich nächstgelegene geeignete Krankenhaus nicht aufnahmebereit ist, verlängern sich die Einsatzzeiten für die RTWs und KTWs enorm. Patienten aus Darmstadt mussten teilweise nach Kassel, Gießen oder in noch weiter entfernte Kliniken gebracht werden. Das Fahrzeug und seine Besatzung stehen während der Transportzeit nicht für die Versorgung weiterer Notfälle zur Verfügung. Dazu kommen neben der Rückfahrt noch die Desinfektionszeiten, die nach jedem Covid-Patient eingehalten werden müssen und in denen das Fahrzeug „außer Dienst“ ist.
Doch Corona-Pandemie und Personalmangel sind nur ein Teil des Problems. Der RTW wird immer öfter angefordert, obwohl kein Rettungsdienst erforderlich ist. Die Leistellen werden mit Bagatell-Anrufen überlastet, zu denen Schlafstörungen, Übelkeit oder Verstauchungen zählen, die keine Notfälle sind. Doch der RTW ist verpflichtet zu kommen. In dieser Zeit können die Retter nicht für richtige Notfälle, wie einem Schlaganfall oder Herzinfarkt zur Verfügung stehen. Die Einsatzzahlen steigen, die Anzahl der vorhandenen Rettungswagen ist unzureichend, Notfallpatienten müssen warten, das Rettungsdienstpersonal arbeitet ohne Pause, die RDV wird täglich alarmiert – das ist unsere Gegenwart.
Notruf oder Ärztlicher Bereitschaftsdienst?
Viele der Einsätze könnten durch den Hausarzt oder den ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) abgearbeitet werden. Doch manche Patienten kennen den ÄBD nicht oder wählen den Notruf 112, weil der ÄB-Dienst nicht direkt erreichbar ist oder längere Wartezeiten hat.
Aufgabe der Notfallrettung ist es, das Leben bzw. die Gesundheit von Notfallpatienten zu erhalten, sie transportfähig zu machen und unter fachgerechter Betreuung in eine für die weitere Versorgung geeignete Einrichtung zu befördern. Notfallpatienten sind Personen, die sich in einem lebensbedrohlichen Zustand befinden oder bei denen schwere gesundheitliche Schäden zu befürchten sind, wenn sie nicht umgehend geeignete medizinische Hilfe erhalten. Ein Notruf (112) sollte demnach nur bei lebensbedrohlichen Notfällen, wie starken Bauchschmerzen und Herzbeschwerden oder bei schweren Verletzungen abgesetzt werden.
Der ärztliche Bereitschaftsdienst (116 117) leistet dagegen Hilfe, wenn die Arztpraxis geschlossen ist und die Behandlung nicht bis zum nächsten Tag warten kann, etwa bei anhaltendem Brechdurchfall, Fieber oder normalen Bauchschmerzen.
Ehrenamt steht dem Hauptamt immer zur Seite
Unsere ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer stehen stets motiviert und hilfsbereit den hauptamtlichen Kollegen zur Seite. Doch auch wir stoßen bald an unsere Grenzen, wenn sich die Belastung und die Situation im Rettungsdienst nicht grundlegend ändert.
Wir sind unglaublich stolz auf unsere ehrenamtlichen Rettungsdienstler, die in diesem Jahr bereits so viele Stunden im Einsatz für die Darmstädter Bevölkerung geleistet haben und immer wieder bereit sind, den hauptamtlichen Rettungsdient zu unterstützen! Wir bedanken uns ganz herzlich bei jedem von euch, der seine Frei- oder Arbeitszeit dafür aufgibt, um zusätzliche RTWs und KTWs zu besetzten und damit den regulären Rettungsdienst zu entlasten!